Oder: eine neue Fahrradstraße bedeutet nicht gleichzeitig ein Verkehrskonzept.
Wer einmal im Bereich des Gendarmenmarktes beruflich zu tun hatte weiß, dass die Friedrichstraße tagsüber praktisch nur in Büros, Malls und Restaurants auszuhalten war. Jetzt wird sie zur urbanen Flaniermeile: Seit Samstag ist die Friedrichstraße zwischen der Leipziger und der Französischen Straße für den PKW-Verkehr gesperrt. Der Radverkehr darf auf zwei Spuren in der Mitte der Straße mit max. 20 km/h passieren, der Rest der Straße bleibt Passanten und Gastronomie vorbehalten. Details hierzu finden sich in der Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz.
Klar, dass die Gastronomie sich bereits darauf einstellt und Sitzgelegenheiten für ihre Gäste auf der Straße aufbaut. Mediterranes Leben mitten in Berlin!
Ich konnte mir am vergangenen Montag ein Bild davon machen. Bei angenehmen spätsommerlichen Temperaturen war ich nicht der Einzige, der die neue Ruhe und den Flair genießen wollte. Noch war die Neugier vieler Passanten deutlich spürbar. Am frühen Montagnachmittag wurden hier in den vergangenen Jahren wohl nur selten Fotos mit dem Smartphone geschossen – der stetige PKW-Verkehr erschwerte das Queren der Straße und machte sie gleichzeitig unattraktiv. Obwohl ich mehrere Jahre direkt an der Friedrichstraße in Höhe des Gendarmanmarktes gearbeitet hatte, verspürte ich nie das Bedürfnis, ausgerechnet diese Straße zu fotografieren oder gar hier zu verweilen. Die Friedrichstraße nutzte ich in der Mittagspause, um schnell zu einem Bäcker zu gelangen oder Besorgungen zu machen. Wenn möglich, nutzte ich die Malls, die die „Quartiers“ miteinander unterirdisch verbinden.
Und wie sieht es heute aus? Der Radverkehr verlief sehr zivilisiert, das (hier sinnvolle) Tempolimit von 20 km/h wurde überwiegend eingehalten. Konflikte mit Fußgängern konnte ich praktisch nicht beobachten. Einigen Passanten war anzumerken, dass sie nicht sicher waren, ob die Straße nun Fußgängerzone oder Fahrradstraße sein soll. Vereinzelt sah ich Menschen, die irritiert waren, wenn Radfahrer zügig an ihnen vorbeifuhren – was bei einer „echten“ Fußgängerzone tatsächlich nicht zulässig wäre. Andererseits gab es auch Radfahrer, die nicht auf ihre Vorrechte beharrten und Fußgänger weiträumig aus dem Weg gingen fuhren. Das typische „aus-dem-Weg-Klingeln“ blieb an diesem Tag die Ausnahme.
Und der Stau? Der von mir befürchtete Dauerstau auf der Charlottenstr. blieb aus – allerdings hatte der Berufsverkehr noch nicht eingesetzt. Jetzt muss ein tragfähiges Konzept folgen, um den KfZ-Durchgangsverkehr, der u.a. durch die Charlotten- / Markgrafen- und Glinkastr. fließen wird, zu kanalisieren. Gerade für den Bereich des Gendarmenmarktes wäre eine Zunahme des Verkehrs untragbar und dem Charakter dieses wichtigen touristischen und städtebaulichen Highlights abträglich.
Auch für Radfahrer ist noch viel zu tun: Die Friedrichstraße muss auch nördlich und südlich für den Radverkehr attraktiver werden. Die derzeitige Sperrung kommt primär dem lokalen Freizeitverkehr in Mitte zugute. Die Friedrichstraße nördlich Unter den Linden fährt wohl kaum ein Radfahrer gern. Zu eng ist der verbleibende Platz zwischen Straßenbahn und Fußweg, zu dicht der Verkehr. Um auch Fahrradpendler gezielt anzusprechen, bedarf es einer sinnvollen, verkehrsarmen Nord-Süd-Route. Dass dies viel verkehrsplanerische Kreativität und Mut bedarf, ist leicht zu erkennen, wenn man den Stadtplan um den Bahnhof Friedrichstraße genauer betrachtet. Da es zur Querung der Spree nur wenige Brücken gibt und große Bebauungskomplexe nördlich der Spree weiräumige Umfahrungen erzwingen, sind PKW- wie Radverkehr auf wenige Achsen eingeschränkt. Ohne mutige Lösungen wie weitere partielle Sperrungen, Brückenneubauten und ggf. Führung des Radverkehrs auf neuen, ggf. hochgelegten Trassen, sind ständige Konflikte vorprogrammiert.
Ob ddie Flaniermeile zur Dauerlösung wird, wird sich Ende Januar zeigen. Bis dahin dauert der für ein halbes Jahr angelegte Modellversuch.