„Kostenschätzung Radentscheid – Senat betreibt gezielte Desinformation“

Volksentscheid Fahrrad-Logoso beschreibt der Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaar die Kostenschätzung des Berliner Senats zum geplanten Volksentscheid Fahrrad.
Der Berliner Senat hat viel Zeit damit verbracht, eine Kostenschätzung zum Radentscheid zu erarbeiten. Offensichtlich war der Aufwand hoch, für nahezu jeden Posten hohe Kosten zu ermitteln. Hohe Kosten – oder übertriebene Kosten? So entsteht eine Schätzung von über 2 Milliarden Euro (siehe Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt) im Vergleich zur Schätzung der Initiative Volksentscheid Fahrrad, die 320 Millionen Euro beträgt.

Hier ein Beispiel von mehreren, die von Gelbhaar nachgerechnet wurden:

  • § 7 Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen
    Kosten laut Senat (siehe Anfrage Drucksache 17/19296): Markierung von Radfahrstreifen: 10 Euro/Meter, mit Leitelementen ca. 100 Euro/Meter, bauliche Radwege mit einer Breite von zwei Metern: 200 Euro/Meter.Der Senat kalkuliert aber mit durchschnittlich 273 Euro/Meter für Neubau und Sanierungen, also grundsätzlich teurer als ein baulicher Radweg. Preisgünstige Markierungen von Radstreifen sieht er selbst auf wenig befahrenen Hauptstraßen nicht vor, damit kommt der Senat auf 1,392 Milliarden Euro für diesen Punkt. Allerdings gibt der Senat auch selbst einen davon um knapp 1 Milliarde Euro (!) abweichenden unteren Schätzwert von 397 Millionen Euro an.Realistische Modellrechnung: 1000 Kilometer baulich getrennt (auf den am stärksten befahrenen Straßen), 3000 Kilometer Radstreifen markiert, 1000 Kilometer mit Leitelemente: 200 Mio + 30 Mio + 100 Mio = 330 Millionen Euro (nahe unterem Wert der Senatsschätzung).→ Fazit: 330 Millionen Euro statt der vom Senat kalkulierten 1,392 Milliarden Euro.
    [via www.gruene-fraktion-berlin.de]
Nahezu zeitgleich erfolgte eine Ausschreibung der Senatsverwaltung, die – vereinfacht gesagt – zum Ziel hat, duch die Beauftragung externer Agenturen die unzulängliche Radverkehrspolitik des Senats in einem besseren Licht darzustellen (s. z.B. rbb-online.de). Zufall oder nicht: die Befürchtung, dass diese Ausschreibung als propagandistisches Mittel gegen den Radentscheid genutzt werden soll, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Anders herum betrachtet ist es für die Inititative hilfreich, wenn der Gegner derart unsachlich in die Auseinandersetzung startet. Das erleichtert die Argumentation, die bei dem Gegenüberstellen harter Fakten nicht immer ganz leicht fällt (vgl. hierzu das Streitgespräch zwischen dem Initiator der Initiative, Heinrich Strößenreuther und dem Staatssekretär Christian Gaebler in der taz).
Man muss aber auch darauf hinweisen, dass Stefan Gelbhaar von der Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus Kosten errechnet, die ebenfalls weit von der Schätzung der Initiative entfernt sind (vgl. http://www.gruene-fraktion-berlin.de/presse/pressemitteilung/kostensch-tzung).
Wie so oft steht der Bürger vor Aussagen, die ohne Fachkenntnisse kaum überprüfbar sind und die Ratlosigkeit erzeugen. Die Frage stellt sich nicht, welche Schätzung fundierter, seriöser ist, sondern wem man glauben möchte.
Es bleibt die Vermutung übrig, dass es beiden Seiten nicht ausschließlich um eine sachliche Auseinandersetzung geht, was sich auch aus diversen Beiträgen in der Twitter-Timeline der Initiative bzw. deren Initiators Heinrich Strößenreuther / Clevere Städte ablesen lässt. Fahrradfreundliche Entscheidungen oder Politiker werden bejubelt, wie in diesem Beispiel der in Großbritannien nicht nur wegen problematischer und rassistischer Aussagen zum Verhältnis zwischen Obama und den Briten skeptisch betrachtete (Noch-)Bürgermeister Londons, Boris Johnson:

Auf der anderen Seite werden Verkehrsunfälle mit Radfahrern gern als Versagen des Senats dargestellt und die – äußerst gewagte – These aufgestellt, dass solche Unfälle oder auch banalere Probleme des Radverkehrs nach dem „Radentscheid“ der Vergangenheit angehören würden:

Vollmundige Versprechungen und Instrumentalisierungen von Verkehrsopfern sind sicher keine geeigneten Mittel, Vertrauen zu erzeugen. Polemik und Unsachlichkeit sind Begleiterscheinungen der Auseinandersetzung zwischen Radfahrern und Kraftfahrern, die häufig situationsbedingt sind. In der politischen Auseinandersetzung und im Rahmen der politischen Willensbildung sind sie in höchstem Maße fehl am Platz. Ich erwarte eine Kampagne, die parteiisch pro Radverkehr, aber mit belegbaren Fakten auftritt. Nur dies wird eine Mehrheit davon überzeugen, dass der Radentscheid keine Luftnummer ist, die viel Geld kostet aber nicht hält, was sie verspricht.