Vätternrundan 2017: 09:15 sind (nicht immer) Sub10

Die Vätternrunde 2017 ist Geschichte. Für viele, sehr viele Radsportler eine erfolgreiche, mit herrlichem Wetter garnierte Geschichte.Ich hingegen habe mein Ziel, die „Sub10“, nicht erreicht. Dennoch zählt auch für mich diese 4. Runde zu den schönsten, die ich erlebt habe. Warum? Nun: ich bin für meine Verhältnisse schlecht trainiert nach Schweden gefahren, habe dennoch die schnellste Zeit (brutto 10:20 Std. und netto 09:15) erzielt, bin über mehr als 200 km in einem gut harmonierenden Team gefahren und habe erneut herrliches Wetter, tolle Menschen und viel gute Stimmung genießen dürfen.

Doch der Reihe nach. Wie schon zur Runde 2013 und 2015 habe ich versucht, ein kleines Team zu motivieren, mit mir gemeinsam die „VR2017“ in Schweden zu fahren. Schnell waren Britta (Wiederholungstäterin 2013/2015), Amrei (2015) und Georg (2013) dabei, dann kamen Antje und Chris (beide erstmalig dabei) sowie Steffen (2015 mit uns und weitere 3x alleine) hinzu. Wieder einmal eine bunte Mischung unterschiedlicher Leistungsstufen, wobei Amrei, Steffen, Chris und Georg an einem guten Tag für eine Sub10 gut sind.

Um ehrlich zu sein, kam dieses Mal lediglich der Anstoß von mir, die Organisation übernahmen weitgehend Amrei und Britta, während ich immer wieder mit dem Gedanken spielte, nicht mitzufahren.

Traditionell bezogen wir unser Quartier in Vadstena. Strategisch günstig, da diese Unterkunft mit herrlicher Lage fast direkt am Vättern, nicht weit von Motala entfernt und doch abseits des Trubels liegt. Andererseits wohnen wir dort direkt an der Strecke, sodass wir wie jedes Jahr die Durchfahrt der ersten Startgruppen miterleben konnten.

Der Sohn des VR-Erfinders Peter Liljedahl (ganz rechts) mit „Veteranen“.

Motala hingegen wird jedes Jahr kurz vor Mittsommer für ein Wochenende zu dem schwedischen Radsportzentrum. Die gesamte Innenstadt wird hierbei einbezogen: vom Marktplatz (Stora Torget) über Parkplätze, Schulen und städtische Gebäude bis hin zum Hafengelände – alles erhält eine neue Funktion im Rahmen des Radsportevents. Da die Stadt überschaubar ist, bleiben auch die Wege kurz. Anmeldung, Messe, Start, Ziel, Eventgelände, Rummel (ja, auch den gibt es), Kleiderausgabe, Duschen und Massageangebote: alles ist fußläufig innerhalb weniger Minuten erreichbar.

Dass die Organisation in allen Belangen nahezu perfekt ist, muss man im 52. Jahr dieser Veranstaltung kaum noch erwähnen. Strecke, Rastplätze (schwedisch „Depåt“), Streckenposten und Helfer: alles ist bestmöglich vorbereitet. Fotografiert wird professionell durch das supernette Team von Sportograf. Wenn man ein Haar in der Suppe suchen mag, muss man schon sehr genau hinschauen. Natürlich gibt es das auch. Muss jeder, der durch die Anmeldung geht, unbedingt eine große Plastiktüte überreicht bekommen? Durch die Kombination aus Anmeldung und Messe ist auch der Kaufrausch programmiert. Kaum ein Radsportler verlässt die Messe mit leerer Tüte. Das kann man als „üblich“ hinnehmen, kann es aber auch in Relation zu Aussagen vor der Vätternrunde 2015 setzen, als die (sehr beliebten) Rahmenaufkleber aus Gründen des Umweltschutzes (!) abgeschafft wurden. Inzwischen  gibt es sie wieder – man muss jedoch wissen, wo bzw. wen man danach fragen muss. Und natürlich ist der Preis ein Kritikpunkt bei vielen Radsportlern, die den Weg nach Schweden bisher gescheut haben. Ca. 150 Euro sind viel Geld, wenn man auch noch Anreise und Unterkunft hinzurechnen muss. Nur: niemand muss teilnehmen. Wer bei einem lokalen Radmarathon teilnimmt und damit zufrieden ist, macht sicher nichts verkehrt.

Die Faszination Vätternrunde ist tatsächlich nur bedingt rational zu vermitteln. 20.000 Menschen auf dem Rad findet man auch anderswo. Ausgelassene Stimmung entlang der Stecke gibt es z.B. auch im Spreewald. Anspruchsvollere Profile gibt es sicherlich unzählige und besseres Essen findet man auch hier und da.

Was macht die Vätternrunde nun so herausragend? Für mich persönlich ist es das Radfahren in einer des schönsten Gegenden Europas, in einem Land, das mich schon seit Jahrzehnten anzieht. Es ist das Radfahren mit sehr, sehr vielen Menschen aus der halben Welt, denen es egal ist, dass man zwar eine Zeitnahme, aber keine Platzierung erhält. Es ist nicht zuletzt das Abenteuer, dass man im schwedischen Frühsommer mit nahezu jedem Wetter rechnen muss und sowohl Regen-, Winter- wie auch Sommerbekleidung nötig sein könnte.

Im Anschluss an die Mecklenburger Seen Runde, die sich im Konzept sehr eng an das schwedische Vorbild anlehnt, habe ich eine Kritik gelesen, dass es doch dem weltoffenen Charakter widerspräche, dass die Medaillen mit einem schwarz-rot-goldenen Band ausgegeben würden. Nun, bei mir zuhause hängen drei Medaillen mit blaugelben Bändern, durch die ich mich überhaupt nicht ausgeschlossen fühle. Nein, für mich gehört es sogar dazu. Daher finde ich es schade, dass dieses Jahr das Band in unattraktivem weiß-schwarz gehalten war. Für mich ist die Vätternrunde weltoffen und schwedisch-blaugelb!

Ich habe bisher fast nichts über die Tour an sich gesagt. Nun, wir sind von Beginn an (Start war um 23:30 Uhr) sehr flott unterwegs gewesen. Moderate Temperaturen und kaum spürbarer Wind machten uns die Fahrt leicht. Georg war gut drauf und fuhr die ersten Stunden fast permanent im Wind, wir durften „lutschen“. Auf einigen Abschnitten fuhren wir so über 10 km hinweg mit einem Schnitt von über 36 km/h im Grundlagebereich! Steffen und Chris verloren wir leider unterwegs, so dass von unserem Team nur noch Amrei und ich in Georgs Windschatten unterwegs waren. In Jönköping angekommen, mussten wir uns erst mit der neuen Verpflegungsstelle, einer Eishockeyhalle, vertraut machen. Ein paar Smalltalks mit verschiedenen Bekannten ließen die Pause länger werden als geplant. Dadurch konnte Chris auch wieder zu uns aufschließen. Bis Hjo wurde die Führungsarbeit aufgeteilt: Amrei, Georg, Bernhard (ein Radsportler aus Zirndorf, der seit Jönköping mit uns fuhr), ein weiterer Radsportler und ich wechselten uns im Wind ab, so dass Georg Gelegenheit hatte, sich ein wenig von der Führungsarbeit auszuruhen. Die letzten Kilometer vor der Rast zog uns Amrei mit hohem Tempo durch den schwedischen Morgen. In Hjo angekommen, fragte ich sie voller Bewunderung, ob ihr schon einmal jemand gesagt hätte, was für ein Tier sie sei. Wie sich herausstellte, fuhr sie sich in diesem Moment den Frust vom Leibe – ihr Garmin hatte sich kurz zuvor verabschiedet.

Bei der folgenden Pause vertrödelten wir erneut viel Zeit. So viel Zeit, dass uns Steffen und auch Antje einholten. Steffen fuhr fast gleichzeitig wieder mit uns los – obwohl er sich sogar eine doppelte Portion Lasagne gegönnt hatte!
Wieder unterwegs machte es uns der bald stärker werdende Gegenwind schwer, das Tempo hochzuhalten. Auch Amrei und Georg hatten zu kämpfen.

Rund 70 km vor dem Ziel kam dann die Rache für meine mangelhafte Vorbereitung: konnte ich in der Ebene noch Geschwindigkeiten über 35 km/h gut halten, brach meine Leistung schon an leichten Steigungen komplett zusammen. Da ich keine Bremse sein wollte, ließ ich Georg und Amrei allein weiterfahren.

Ich quälte mich fortan jeden Hügel allein hinauf, ließ mich überholen, um dieselben Fahrer bei der nachfolgenden Abfahrt oder im Flachen wieder zu kassieren.

Über einige Kilometer konnte ich dann mit einem netten 2 Frauen- / 1 Mann-Team aus Zwickau und einigen anderen Fahrern (ausnahmsweise mal in funktionierender Zweierreihe) ein ordentliches Tempo halten und dabei wieder etwas Kraft schöpfen. Die letzten recht hügeligen Kilometer liefen dann noch einigermaßen gut. Es reichte natürlich nicht mehr: ca. 15 km vor dem Ziel überschritt ich die (unsinnige aber für mich emotional herausfordernde) 10-Stundenmarke. Ab da wollte ich nur noch so schnell wie möglich ins Ziel, weil ich wusste, dass ich trotz allem erneut Bestzeit fahren würde!

5 km vor dem Ziel holte mich Bernhard ein, der uns bereits zwischen Jönköping und Hjo begleitet hatte. Ein neues Ziel tst sich auf: wir hatten gemeinsam gearbeitet, also sollten wir auch gemeinsam ins Ziel kommen. Ich schloss zu ihm auf, überholte aber nicht. Wortlos waren wir uns einig, dass wir die letzten Meter gemeinsam zurücklegen sollten. Der Zielbogen flog näher, wir überfuhren die Ziellinie gemeinsam. Ein Lächeln und ein kurzes „good job“ besiegelte diese kurze Radsportfreundschaft.

Britta im Ziel!

Im Ziel waren alle Mitglieder unserer Aachen-Berlin-Connection zufrieden: Amrei und Georg haben die Sub10 um nur 10 Minuten verpasst, Antje hat bei ihrer ersten Teilnahme gleich eine Zeit unter 12 Stunden erreicht. Britta hat ihren Trainingsrückstand auch gespürt, aber viel Spaß gehabt und gute Gespräche mit alten und neuen Bekannten führen können. Chris ist trotz Magenproblemen noch gut ins Ziel gekommen und Steffen und ich sind (ungenügend trainiert und in Steffens Fall mit einer Riesenmenge Lasagne im Bauch) Bestzeit gefahren. Was will man mehr?

Nur zum Fotografieren hat die Zeit dann doch nicht so recht gereicht und ausgerechnet im malerischen Hjo haben sich Nebel und Wolken vor die Morgensonne geschoben. Aber da ich ziemlich sicher bin, dass 2017 nicht meine letzte Vätternrunde war, ist dieses Manko durchaus behebbar.

Denn auch diesmal heißt es sicherlich: „nach der Vätternrunde ist vor der Vätternrunde“ und: „Vi ses i Motala!